Opinion/Kopftuchverbot—Rassistische Symbolpolitik Getarnt Im Liberalen Schafspelz

Kopftuchverbot ist Symbolpolitik, bestätigt Plakolm Wolf in der ZiB 2
“Ein Kind, das mit acht Jahren ein Kopftuch trägt […] ist ein Symbol für religiösen Extremismus,” postuliert ÖVP-Generalsekretär Marchetti in einem rezenten Interview und erklärt in gewohnt evidenzbefreiter technokratischer manier, dass es “nicht entscheidend [ist], wie oft [das Kopftuchverbot] schlagend wird”, da es sich um eine “Normsetzung” handelt. 1
Offensichtlich übersieht Marchetti in seinen Ausführungen, der eigenen ÖVP-„Leitreligion“ aus dem Vatikan zu folgen, denn dort ist man sich der verschiedenen Ebenen des Kopftuchs als Symbol sehr wohl bewusst. Das “Kopftuch ist [durchaus] auch ein Symbol für Identität”, insbesondere wenn “öffentliche Verlautbarungen [insinuieren], der Islam gehöre nicht zu” unserer Gesellschaft, was einige verständlicherweise “als Angriff auf [die eigene] Kultur verstehen” und folglich “nach Zeichen der Identifikation” suchen und somit “das Kopftuch aus ganz anderen Gründen” tragen. 2 Marchettis Tendenz, das Kopftuch gänzlich zum “Symbol für religiösen Extremismus” zu reduzieren, widerspricht somit nicht nur den Tatsachen, sondern schafft auch gefährliche Präzedenzfälle für Symbole anderer Religionen.
Bundesministerin für Integration und Familie Claudia Plakolm ist in dieser Hinsicht unverblümter und demaskiert unbeholfen jedoch medienwirksam “das Kinderkopftuchverbot [als reine] Symbolpolitik.” 3 “Symbolische Politik ist im Gegensatz zur faktischen Politik eine Politik der Zeichen: der Worte, Gesten und Bilder. Mit minimalem Aufwand vermag sie oftmals ein Maximum an Schaden anzurichten,” 4 ein Umstand, den Plakolm unerwähnt lässt, da sie diesen wissentlich instrumentalisiert.
Die Abwesenheit einer faktischen Grundlage für das “Kopftuchverbot” anhand von anerkannten Studien, die auch von Armin Wolf im ZIB2 Interview zu dieser Thematik kritisiert wurde, 5 lässt somit nach dem Prinzip des Ausschlussverfahrens nur eine Interpretation zu: Dieses Gesetz ist im Kern und seiner vorhersehbaren Wirkung, ein Akt des Rassismus, der getarnt als Liberalismus unter dem Deckmantel des Kindeswohls darauf abzielt, den Islam als Religion zu delegitimieren und die Gesellschaft anhand von religiösen Symbolen weiter zu spalten. Die quer durch alle Bevölkerungsschichten hinweg aufkeimende Solidarität mit dem Schicksal der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, die bedauerlicherweise immer noch unentwegt durch die Verknüpfung von Islam mit religiösem Extremismus und Terror anstelle von Widerstand gegen eine illegale Besatzung und Apartheid von den Medien dargestellt wird, fällt dieser zynischen Gesetzgebung ebenfalls zum Opfer.
Zwei Wochen nachdem Plakolm ihr mutmaßlich verfassungswidriges symbolisches “Prestigeprojekt” mithilfe der Koalitionspartner beschlossen hat, springt die Dokumentationsstelle für Politischen Islam (DPI) in die Bresche und erklärt ex-cathedra, dass “islamistische Akteure politische Maßnahmen [instrumentalisieren], um die Polarisierung in der Gesellschaft” und somit ein “Narrativ der Unterdrückung [zu] befeuern.” 6 Laut Regierungsprogramm ist die „Aufwertung des Dokumentationszentrums für politischen Islam, einschließlich einer stärkeren parlamentarischen Beteiligung“, 7 ein konkreter Schritt um solch diskriminierenden symbolpolitischen Beschlüssen durch fragwürdige pseudowissenschaftliche Institutionen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Plakolm nutzt diese Auslegung des DPI strategisch geschickt, um Ursache und Wirkung in einer maliziösen Art und Weise die ihresgleichen sucht, zu reversieren, indem sie Behauptet, dass “hier eindeutig ein wunder Punkt getroffen” wurde und die Empörung, die sie selbst verursacht hat, ein Beweis dafür ist, dass es “Hassprediger” gibt, die Mädchen daran hindern wollen, “sichtbar und selbstbestimmt aufzuwachsen” und ihr Vorhaben mit dem Argument “Mädchen mit dem Kopftuchverbot genau davor schützen”, 6 somit als gerechtfertigt ansieht.
Auch der Verfassungsgerichtshof sah das seinerzeit eingeführte »Kopftuchverbot« in Österreich als Verfassungswidrig an und argumentierte, daß “eine Regelung, die bloß eine bestimmte Gruppe von Schülerinnen trifft, und zur Sicherung von religiöser und weltanschaulicher Neutralität sowie Gleichstellung der Geschlechter selektiv bleibt, ihr Regelungsziel verfehlt und somit unsachlich ist. [Das Gesetz] verstößt daher gegen den Gleichheitsgrundsatz in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.” 8 Darüber hinaus gründet die Schule unter anderem auf den Grundwerten der Offenheit und Toleranz (Art. 14 Abs. 5a B-VG). Eine Regelung, die daher eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung selektiv herausgreift, indem sie eine solche gezielt benachteiligt, bedarf folglich einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Es wird jedoch weder gerechtfertigt, dass die Entwicklung junger Mädchen durch das Tragen eines Kopftuchs beeinträchtigt wird, noch wird abgewogen und artikuliert, ob das Verbot mit zum Teil drakonischen Strafen 9 auch das Potenzial hat, den proklamierten Effekt (z.B. Schutz junger Mädchen) zu erwirken.
In Bezug auf die Deutung des Kopftuches stellte auch der Verfassungsgerichtshof im Einklang mit dem Vatikan fest, dass das Tragen des islamischen Kopftuches eine Praxis darstellt, die aus verschiedenen Gründen ausgeübt wird. Die Deutungsmöglichkeiten, die die Trägerinnen dem Tragen des Kopftuches geben, sind somit vielfältig. Deswegen ist es unzulässig, diese auf “religiösen Extremismus” zu reduzieren, was wiederum die Argumentation des ÖVP-Generalsekretärs ad-absurdum führt. Da sich das “neue Kopftuchverbot” nur unwesentlich von seiner vorigen Inkarnation, die als Verfassungswidrig eingestuft wurde unterscheidet, ist es mit aller Vehemenz, mit Verweis auf das damalige Urteil, abzulehnen, um weitere ausufernde Stigmatisierung und Ausgrenzung durch eine autoritäre, diskriminierende und symbolische Verbotspolitik zu verhindern. Anstatt eines Kopftuchverbots wäre eine neutrale Diskussion wünschenswert, die es den Mädchen ermöglicht (z.B. durch Mediation), die ein Kopftuch tragen möchten, ihre Beweggründe zu artikulieren, um Vorurteile abzubauen und somit den gegenseitigen Respekt für die Freiheit des anderen zu fördern. So ein Diskurs steht auch im Einklang mit unseren ad-nauseam proklamierten Werten der Selbstbestimmung, Offenheit und Toleranz.
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Julia Neuhauser, ÖVP-Generalsekretär Marchetti: „Das hat uns Glaubwürdigkeit gekostet“, Die Presse, Jun.26, 2025. ↩︎
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Berliner Rektor: „Religiöse Symbole gehören in die Schule“, Vatican News, Feb.14, 2019. ↩︎
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Ministerin Plakolm: Gesetzesentwurf zum Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren geht in Begutachtung, Bundeskanzleramt, Sep.10, 2025. ↩︎
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Jens Jessen, Symbolische Politik—Essay, Bundeszentrale für politische Bildung, Mai.12, 2006. ↩︎
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Integrationsministerin Claudia Plakolm zum geplanten Kopftuchverbot für Kinder, ZIB2, Sep.10, 2025. ↩︎
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Wegen Kopftuchverbot: Ministerin ist im Visier islamistischer Influencer, Kronen Zeitung, Sep.28, 2025. ↩︎
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Regierungsprogramm 2025-2029, Die Volkspartei, 2025. ↩︎
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Verhüllungsverbot an Volksschulen ist verfassungswidrig, Verfassungsgerichtshof, Dez.12, 2020. ↩︎
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Michael Hammerl, Strafen bis 1.000 Euro: Kopftuchverbot geht in Begutachtung, Kurier, Sep.10, 2025. ↩︎